Für meine dritte > Zimmerreise 03/2021 fiel es mir angangs schwer, mich zwischen F wie Fenster und G wie Gardinen zu entscheiden. Beides hängt zwar normalerweise auch zusammen – Super-Wortspiel ✨🎉🤡 – andererseits auch nicht immer, denn an keinem einzigen Fenster unseres Hauses hängt eine Gardine, weder als halbdurchsichtige Stores mit Übergardinen, noch als dekorativ gerafftes Mittel zum Kaschieren der Fensterrahmen oder als textile Umrahmung des Ausblicks.
In schleichendem Prozess wurden es über die Jahre immer weniger Vorhänge in den von mir bewohnten Wohnungen und Häusern, vor einem Jahrzehnt kam er zum Abschluss.
Seitdem findet sich nur noch eine einzige Gardine im Haus, und zwar plüschig-rot und goldbestickt, unter einer fransenbesetzten Schabracke und von goldfarbenen Raffhaltern rechts und links einer Topfpalme seitlich gehalten, als Detail auf einem eigenwilligen Ölbild; der betreffende Ausschnitt davon ist hierneben zu sehen.
Das Bild entdeckte und kaufte ich auf einem Flohmarkt in Bad Bodenteich, im Nachbarlandkreis Uelzen.
Es steckt, konsequet zum Motiv passend, in einem geradezu bombastischen Goldrahmen und stellt das Interieur eines theatralisch vollgestellten Salons vergangener Zeiten dar, oder, wie ich es empfinde, eine Theaterkulisse davon.
Dabei stehen die Perspektiven der abgebildeten Gegenstände so unharmonisch gegeneinander, dass es optional bleibt, ob „J.W.“ es nicht besser konnte oder so beabsichtigt hatte.
Wegen der Heiterkeit, die mir die scheinbar herumtanzenden Möbel bescheren, musste ich das Ölgemälde unbedingt haben.
Es ist tatsächlich noch zweimal so breit, aber so voll mit Gegenständen, dass mein Hauptmotiv, das Fenster mit Gardine, davon wieder in den Hintergrund gedrängt worden wäre, und dabei soll es doch hier mein Ausgangsgegenstand sein!
Das Bild stellt auch dar, was ich mit Gardinen, Vorhängen und Portieren verbinde: etwas Schweres, Spiessiges und fast immer auch Staubiges, und dabei mit einer gewissen Verehrung behandelt, die ich nicht einsehen mochte.
Der Kult um die weissen Tüllgardinen, wie sie Mutter, Grossmutter und überhaupt alle Frauen zelebrierten, die ich kannte, das Faltenstecken und das nutzlos Akkurate waren mir schon als Teenager zuwider, den schon vom Ansehen empfundenen Muff der schweren, dunklen Übergardinen fand ich erdrückend.
Dabei beinhalten meine Kindheitserinnerungen an Gardinen auch fröhliche Muster und leichte Baumwollstoffe mit Kringeln, Streifen oder Blumen, die ich wirklich mochte. Das Bedrückende und die sorgsam behütete Üppigkeit kam erst später, vermutlich als Wohlstandsphänomen.
Auch die besondere Beachtung, die ältere Frauen immer auf die Gardinen verwendeten, um andere Frauen und deren Haushalt zu taxieren, ist mir unvergesslich, und die unverschämten Fragen, mit denen ich einst ins Verhör genommen wurde, weshalb wir noch Monate nach dem Einzug keine Gardinen aufgehängt hätten. Die Antwort, dass sonst die üppigen Zimmerpflanzen keinen Platz hätten, wegen denen ja auch keiner hineinsehen könnte, stiess auf wenig Verständnis, dafür wurde mir einmal mehr die Information mitgegeben, dass es immer „in 3facher Breite“ des Fensters sein müsse, falls wir uns das denn noch überlegen wollten.
In späteren Jahren wurde ich von gelegentlichen, sogar gleichaltrigen Besucherinnen gefragt, ob jemand bei uns Allergiker sei, weil wir so gar keine Vorhänge hätten, und Topfpflanzen aber auch nicht. Ich verweise dann immer darauf, dass wir unsere Fenstertüren tatsächlich gerne öffnen und dass es im Garten grün genug sei. Aber was so richtige Gardinensteckerinnen sind, die glauben das nicht. Die denken, man mache es sich bloss leicht. Aber ja!
Wunderbar! Wie Recht Du hast :)
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Das kennt wohl jeder, irgendwie :-)
Danke, Lea!
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Grauslig, diese Gardinen. Meine Schwiegermutter achtete explizit darauf, zumal wir damals noch in einem Dorf wohnten und nicht in jedem Raum eine Gardine hing, sondern nur Vorhangschals. Die Nachbarn munkelten, dass man sehen kann, was ich in der Küche tue und ob Mann oder Frau auf Toilette gehen.
Es gibt jetzt keine Gardinen mehr, lediglich leichte, weiße Dekoschals mit Ösen und nicht zum Zuziehen.
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Ja! Genau so war das. Hier ist ja auch Dorf, da hält sich sowas. Dass man nicht hineinschaut, ist wohl keine Option. ^^
Dass man nicht aus der Reihe tanzen, und sich den Konventionen unterwerfen soll, damit alles schon berechenbar ist, scheint manchen schon sehr wichtig.
Zu manchen Fenstern passt so ein bisschen Textilbegleitung oder andere Dekoration auch ganz gut, aber doch nicht, „weil es sich so gehört“.
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Ganz meiner Meinung 😊
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Ich kann Gardinen in der Regel auch nichts abgewinnen und hab auch keine. Nur ein paar Vorhänge in den Räumen, wo geschlafen wird. Ich mags nicht, wenn es zu hell ist nachts. Aber wie du sagst, gibt es auch wirklich schöne Stoffe und als Vorhang finde ich die okay. Ja, da haben sich die älteren Generationen lange dran abgearbeitet, wenn man keine hat ;-)
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Als wir noch nicht in diesem Haus wohnten, in dem wir mit Aussenjalousien so gut verdunkeln können, dass man eher zulange schläft, geht es ohne, aber früher hatte ich auch dichtgewebte Vorhänge in den Sclafzimmern. Unsere Kinder waren immer frühe Vögel.
„Sich dran abgearbeitet! – ja, so kann man das beschreiben.
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Du hast es ja geschildert: wer zu Besuch kam, fragte danach, und daß war bei mir die ältere Generation. Viele Menschen haben keine Gardinen mehr in der Stadt, aber wenn man sich fast direkt in die Fenster gucken kann, würde ich es mir evtl. überlegen, irgendwas dahin zu machen. Aber bislang lernt man seine unbekannten Nachbarn eben so ein bißchen näher kennen ;-)
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Ja, genau, und das nicht nur als Besucher, sondern sogar nur als Nachbarschaft, auf der Strasse (mir so passiert in einer Kleinstadt im Sauerland) – und die Frage danach empfinde ich als besonders impertinent. Niemand fragt, weshalb man einen Tiefspüler oder einen Flachspüler als WC hat, oder weshalb man eigentlich nur eine Küchenzeile, aber keine Kochinsel hat, und weshalb das Bett kein Kopfteil hat, an das man auch mal jemanden anketten könnte. Für mich wäre das alles dasselbe, vor allem, wenn man es auf der Strasse gefragt würde, von jemandem, der einem in die Wohnung geglotzt hat.
Ich wollte auch nicht alle Wohnsituationen aufzählen, die ich je hatte, aber als wir in München in einer Schwabinger Seitenstrasse wohnten, hatten wir Seitenschals zum Zuziehen, weil es an den Altbaufenstern keine Jalousien gab, und die einseitige Reihe von Linden im Sommer zwar vor Blicken schützte, aber in der blattlosen Zeit die Nachbarn gegenüber einem doch recht nahe waren. Das kann ich auch nicht haben.
Oder in Neusiedl, da stand unser Haus mit der Fassade unmittelbar am Gehsteig und jeder Vorübergehende „musste“ unbedingt ins Küchenfenster gucken. Weil wir damals eine sehr offene Bauweise hatten, konnten sie quer durch in den Garten sehen – was nicht unerwähnt blieb. Sich morgens nicht vollständig angekleidet Kaffee zu machen, erforderte schon ein gewisses Mass an Ignoranz.
Der menschliche Instinkt scheint Fenstergucken reflexhaft auszulösen, ich bin nicht frei davon, aber dann muss eben Fensterdeko her, wie in Dänemark oder den Niederlanden, die hervorragend ohne Gardinen auskommen, und ein bisschen Wille zur höflichen Selbstbeherrschung.
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Das ist ja krass! Ich glaube, daß ist auch der Punkt, warum manche die Anonymität der Stadt bevorzugen. Da gibt es zwar auch beschriebene Probleme, aber man fragt den anderen nicht, warum er so lebt und nicht anders. Impertinent ist das richtige Wort. Ja, Fenstergucken, auch gerade beleuchtete, scheint das Auge magisch anzuziehen. So nah an der Straße muß man sich dann wirklich was einfallen lassen, ich glaube, da kommt man dann nicht dran vorbei. Ich sah mal ein Schild an einem Gartenzaun an der Elbe, wo so ein netter Spazierweg an den Häusern entlang führt: „Die Elbe befindet sich auf der anderen Seite!“
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Das Schild verstehe ich gut, gerade weil bei fremden Spaziergängern die Hemmschwelle noch geringer ist.
Bei unserem Küchenfenster wusste man einfach, dass man nicht nackt an die Kaffeemaschine gehen kann, und ansonsten eigentlich fast nur Nachbarn in weiterem Sinne vorbei kamen, die irgendwann auch genug gesehen hatten. Manchmal habe ich auch freundlich gewinkt, wenn einer geguckt hat, und die Reaktion war immer belustigend. Aber jetz bin ich doch ganz froh über unseren grösseren Abstand.
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Ja, ein bißchen Distanz finde ich auch angenehmer, als so ganz auf Du mit Fremden. Hihi, das stelle ich mir ganz amüsant vor mit dem Winken :-)
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Total amüsant – da sind sie dann schreckhaft :-)
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Ertappt :D
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Die denken, man mache es sich bloß leicht. Aber ja! Es sich leicht machen. Natürlich! Da bin ich ganz bei dir. Wo es das Umfeld erlaubt, freie Sicht auf freie Natur! Weg mit den Staubfängern, und „ich muss mal wieder Gardinen waschen“ ist auch kein Thema mehr.
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Es sich extra schwer zu machen, um unter Gleichgesinnten Anerkennung zu erhalten, ist eine „Tugend“, die man auch gerade in Gärten beobachten kann, damit die Osterspaziergänger sehen sollen, dass man es „richtig“ macht.
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Na ich hoffe doch, die meisten pflegen ihre Vorgärten aus eigener Freude daran. Du meinst es gibt die, die dann hinter der Gardine äugen, wer alles stehenbleibt und anerkennend nickt? 😉
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Auf alle Fälle kenne ich welche dieser Sorte.
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